Birkenau und Rosenfeld: Bewegendes Drama um eine Auschwitz-Überlebende, die nach Jahrzehnten ihre Vergangenheit aufarbeitet.
Sieben Jahre dauerte es, bis Marceline Loridan-Ivens dieses schmerzhafte Stück Erinnerungsarbeit realisieren konnte. Sie lässt ihr Alter Ego Anouk Aimée als Reporterin Myriam Rosenfeld nach Auschwitz-Birkenau zurückkehren, dorthin, wo sie als Kind unvorstellbares Grauen erlebte. Der fiktionale Film, an dessen Drehbuch auch Jeanne Moreau mitwirkte, erhielt im Rahmen des Filmfestes München 2003 den Bernhard Wicki Filmpreis - Die Brücke, mit dem künstlerische Arbeiten ausgezeichnet werden, die „Brücken schlagen, wo andere Gräben aufreißen“.
Mit „Birkenau und Rosenfeld“ verarbeitet Marceline Loridan-Ivens, renommiert durch die gemeinsamen Dokumentarfilme mit dem verstorbenen Regisseur Joris Ivens, ihre eigene Lebens- und Leidensgeschichte. Sie erzählt von einer Auschwitz-Überlebenden, die nach Jahrzehnten an den Ort der Pein zurückkehrt und dort auf einen jungen Deutschen trifft, dessen Großvater Nazi war und der sich auf seine Weise der Vergangenheit nähert. Er macht Fotos, um „das Unsichtbare zu zeigen“. Erst verweigert sich das Opfer Myriam Rosenfeld einer Kontaktaufnahme mit dem Enkel des Täters, doch dann erliegt sie der leisen Überzeugungskraft des Fotografen, begibt sich mit ihm auf eine Spurensuche, die mitten ins geschundene Herz führt. In der Frau, die als 14Jährige im Konzentrationslager landete und dort zwei Jahre verbrachte, kriecht noch einmal das kalte Entsetzen hoch, wenn sie die Baracke sieht, in der sie dahinvegetieren musste. Zusammen gehen sie durch die Überreste des Lagers, die Baracken und Gaskammern, die Verbrennungsöfen, die damals den Tod bedeuteten. Sie suchen verzweifelt nach einer Antwort auf die Frage, warum Menschen sich zu Handlangern des braunen Terrors machen ließen, wie Familienväter zu Folterknechten wurden. „Die ehemaligen Deportierten kommen nicht zurück, um Zeugnis abzulegen“, sagt Myriam mal während dieser inneren Reise, „sie sind krank vor Leiden wie ich, sie haben Angst hierher zurückzukommen, wie ich“.
Marceline Loridan-Ivens verzichtet auf die üblichen Rückblenden und bekannten Archivaufnahmen. Ihr Blick fokussiert sich nicht nur auf die Vergangenheit, sondern verbindet die Erinnerung mit Gegenwart und Zukunft, wie auch die Topografie des Grauens und die Topografie des Gefühls sich hier tangieren. Nach und nach wird das Unfassbare fassbar, dass Unsagbare artikulierbar. Das große Plus dieser verstörenden literarischen Filmerzählung liegt in der zurückhaltenden und manchmal fast poetischen Kameraführung (Emmanuel Machuel), in der Doppelbödigkeit der Bilder und vor allem in den großartigen Darstellern. Anouk Aimée, selbst Jüdin, wandelt sich von der erfolgreichen Frau aus New York, die mit beiden Beinen im Leben steht und glaubte, dieses im Griff zu haben, zu einer fragilen Figur, in der wir das kleine Mädchen und ihre gestohlene Kindheit und Jugend erkennen, dem SS-Schergen seelische Wunden schlugen, die niemals heilen, sondern unter dem dünnen Firnis der Normalität immer wieder aufbrechen. August Diehl meistert hier wohl eine seiner schwierigsten Rollen, wenn er sich verhalten und scheu dieser charismatischen Person nähert und Versöhnung plötzlich mehr ist als nur ein Wort. mk.